Im lombardischen Norden Italiens befindet sich die Region Valcamonica. Genauer betrachtet handelt es sich dabei um ein etwas versteckt liegendes, ca. 70 Kilometer langes Tal in der Provinz Brescia. Doch so abgelegen Valcamonica auch sein mag, hier finden Besucher atemberaubende Zeugnisse menschlicher Kultur. Die Bevölkerung des Tales erschuf über einen Zeitraum von mehreren Jahrtausenden hinweg Galerien von Felsbildern, deren Entstehungszeitraum von prähistorischer Zeit an bis hin zur Zeit der römischen Besatzung reicht. Damit stellen die Felsbilder des Valcamonica eine Art Geschichtsbuch bis zu den kulturellen Ursprüngen des modernen Menschen dar. 1979 nahm die UNESCO 140 000 Figuren in den Kanon des Weltkulturerbes auf. Mittlerweile wurden jedoch mehr als 300 000 Felsbilder identifiziert. Auf einer Strecke von etwa 25 Kilometern Länge und in einer Höhe zwischen 20 und 1400 Metern über dem Meeresspiegel erstrecken sich Petroglyphen – so der wissenschaftliche Fachbegriff für geritzte Felsbilder – aus insgesamt über 10 000 Jahren Menschheitsgeschichte. Das Besondere an den Felsbildern des Valcamonica ist, dass diese zum Teil bis zu vier Zentimeter tief in den Fels geritzt und vermutlich auch farblich gestaltet wurden. Von der Farbe ist heute leider nichts mehr zu sehen, doch die Ritzungen bieten immer noch einen faszinierenden Anblick.


Die Felsbilder zeigen verschiedene Motive. Bild von wikipedia.org.

Die ältesten Bilder sind etwa 12 000 Jahre alt und zeigen typische Szenen einer Jäger- und Sammlerkultur. Jagdpraktiken und -rituale sowie verschiedene Tiere sind die häufigsten Motive jener Zeit. Im Neolithikum, etwa zwischen 6000 und 3300 v. Chr., erscheinen schließlich die ersten Darstellungen von Menschen und Göttern. Als erste Haustiere werden Hunde dargestellt, Nutztiere wie Rinder und Schweine folgen erst sehr viel später. Anhand der Bilder lässt sich erkennen, dass die damaligen Bewohner des Tals anscheinend Anhänger eines Sonnenkultes waren. Typisch für die Bronzezeit, etwa zwischen 2500 und 1200 v. Chr., ist das verstärkte Aufkommen von mythologischen Szenen. Neu sind auch Darstellungen von Metallverarbeitung, Weberei sowie von Pferden als Reittieren. Aus der Eisenzeit zwischen dem 7. und 5. Jahrhundert v. Chr. finden sich auch Gravuren etruskischen und keltischen Ursprungs. Die letzten eigentlichen Felsbilder stammen aus der Zeit, als Valcamonica der römischen Provinz Gallia cisalpina einverleibt wurde. Zwar gibt es auch einige römische Inschriften sowie Gravuren aus dem Mittelalter, doch diese erreichen nicht mehr das Niveau der prähistorischen Kunst.



Die wichtigsten Felsbilder
Die Felsbilder im Valcamonica sind keine Malereien, sondern direkt in den Fels gearbeitete Petroglyphen. In mühevoller und zeitaufwändiger Arbeit ritzten, pickten oder schabten die Bewohner des Tals die unterschiedlichsten Motive zum Teil bis zu vier Zentimeter tief in den Fels. Und obwohl es derartige Felsbilder auf der ganzen Welt gibt, sind die Petroglyphen von Valcamonica dennoch einzigartig – nirgendwo sonst haben die Bewohner einer Region über Jahrtausende hinweg ihr Leben und damit ihre Geschichte dokumentiert. Die Motive variieren. Jedes Zeitalter weist bevorzugte Figuren und Darstellungen auf, auch lassen sich Einflüsse anderer Kulturen – und damit auch ein Kulturaustausch – nachweisen. Die meisten Felsbilder befinden sich in der Nähe der Orte Darfo Boario Terme, Nadro, Cimbergo, Capo di Ponte sowie Paspardo. Das berühmteste Felsbild ist sicherlich die Camunische Rose, ein vierblättriges Gebilde, das vermutlich ein Symbol der Sonne darstellt: Schon aus anderen Felsritzungen haben Wissenschaftler geschlussfolgert, dass die Camunni – die Bewohner der Valcamonica, die dem Tal auch ihren Namen gegeben haben – wahrscheinlich einen Sonnenkult pflegten. Heute ist die Camunische Rose auch auf der lombardischen Flagge zu finden – in Weiß und vereinfacht mit ihren vier Blütenblättern auf grünem Hintergrund. Besucher finden das bekannte Felsbild in der Ortschaft Le Crus innerhalb der Gemeinde Capodiponte. In der Nähe von Bedolina befindet sich eine ebenfalls bemerkenswerte Felsritzung. Die „Mappa de Bedolina“, eine Landkarte, die vermutlich einen Teil der (damaligen) Umgebung zeigte. Berühmt ist auch eine Felsritzung mit dem Namen „Der Reisende“, welche eine kantige menschliche Figur mit einem Stock in der Hand zeigt. Das Bild befindet sich im Felsbildpark „Parco comunale archeologico e minerario di Sellero“ in der Gemeinde Sellero. Die drei aufgeführten Felsritzungen sind ein ganz kleiner Vorgeschmack auf die Fülle an Bildern, die den Betrachter im Valcamonica erwartet.

Die Felsbildparks
Die Felsbilder sind in den insgesamt acht Felsbildparks zu bewundern, welche die Besuchern auf hölzernen Wegen und Stegen durchlaufen. Auf diese Weise werden die Felsbilder nicht beschädigt und die Besucher haben einen optimalen Blick auf die prähistorischen Kunstwerke. Der „Parco Nazionale delle Incisioni Rupestri di Naquane“ in der Gemeinde Capo di Ponte zeigt auf einer Fläche von etwa 60 Hektar 130 gravierte Felsen inmitten eines lichten Laubwaldes. Darunter befinden sich unter anderem die Gravur des so genannten „Laufenden Priesters“, Jagdszenen, Pferd und Reiter sowie sich duellierende Krieger. Auch die „Camunische Rose“ ist hier vertreten. Die wohl berühmteste Felszeichnung taucht in der Valcamonica mehrfach und in verschiedenen Variationen auf. Besonders eindrucksvoll zeigt sich der „Fels Nr. 1″, in den Hunderte von Gravuren – besonders Hirsche – eingeritzt sind. Im zentralen Teil des Parks befindet sich zudem eine Ausstellung sogenannter Menhire. Ebenfalls in Capo di Ponte liegt der „Parco Archeologico Nazionale dei Massi di Cemmo“. Dieser hat  in den Sommermonaten (März bis Ende der Sommerzeit) von Montag bis Samstag  von 14 bis 19 Uhr geöffnet, Sonntag ist Ruhetag. In den Wintermonaten kann man den Parco von 08:30 bis 13:30 Uhr besuchen. Die so genannten „Cemmo Felsen“ stellen vermutlich ein prähistorisches Heiligtum dar.  Aller guten Dinge sind drei: Seit 2005 befindet sich auch der Gemeindepark „Parco Archeologico Comunale di Seradina-Bedolina“ in Capo di Ponte. Verschiedene Wegstrecken führen durch einen typisch alpinen Wald zu den schönsten Felsritzungen, vor allem aus der Eisenzeit. Der Park ist auch wegen seines etwas eigenwilligen Klimas aus botanischer Sicht interessant. Hier wachsen Pflanzen, die sonst in Norditalien eher nicht vorkommen. In Ossimo befindet sich der „Parco Archeologico di Asinino-Anvòia“ mit Felsbildern aus der Kupferzeit. Auch einige Stelen sind zu besichtigen. In der größten Gemeinde des Valcamonica, in Darfo Boario Terme, liegt der „Parco Comunale delle Incisioni Rupestri di Luine“. Er öffnet ganzjährig zwischen 9:00 und 12:00 sowie 14:00 und 17:00 Uhr. Montags ist Ruhetag. Der Stadtpark beherbergt über 100 000 Felsbilder. Weitere Felsbildparks sind der “Parco Comunale Archeologico e Minerario di Sellero“ in Sellero (ebenfalls ganzjährig geöffnet), der „Parco Archeologico Comunale di Sonico“ in Sonico sowie der „Riserva naturale Incisioni Rupestri di Ceto, Cimbergo e Paspardo“. Letzterer erstreckt sich, wie der Name schon sagt, über die drei Kommunen Ceto, Cimbergo und Paspardo. Der Park hat ganzjährig ab 9:00 Uhr geöffnet. Er schließt im Sommer um 17:30 Uhr seine Pforten, im Winter um 16:00 Uhr.

Informationen | Nur in Italienisch und Englisch ist die offizielle Webseite unter www.invallecamonica.it gehalten. Es gibt Informationen zu den Naturparks, den Wandmalereien, Wellness-Angeboten u.v.m. Vor Ort kann man sich im Touristikbüro in Darfo Boario Terme an der Piazza Einaudi 2 (am Busbahnhof) informieren.